Jochen Malmsheimer
"Am Anfang war das Wort!"

Wuppertal, November 2003. Im Rex Theater hatte ich das Vergnügen den Sprachvirtuosen Jochen Malmsheimer zum Interview zu treffen. Den Meisten dürfte der Name von der Zusammenarbeit mit Bela B. zum Hörbuch "Die Brautprinzessin" bekannt vorkommen. Dass Herr Malmsheimer jedoch auch andere erstaunliche, vor allem komische, Qualitäten besitzt wird in diesem Interview deutlich.

Fangen wir doch am besten zunächst mit Ihrer Karriere an, damit die Leser Sie etwas besser kennen lernen. In Ihrer Vita habe ich gelesen, dass Sie in Essen geboren wurden und wie ging es von da an weiter?

Zunächst bin ich dort geblieben, dann von Essen nach Bochum gezogen. Das sind über Grund 30 km. Da lebe ich bis heute und werde auch nicht weggehen. Nach einer Schullaufbahn mit Verwerfung habe ich Germanistik und Geschichte studiert. Das habe ich aber nach 8 Semestern erfolgreich abgebrochen. Dann habe ich eine Buchhändlerlehre gemacht und später auch in dem Beruf gearbeitet. Nebenher habe ich schon angefangen dummes Zeug zu machen. Zunächst noch für Naturalentlohnung, d.h. frei saufen in der Kneipe. Das nahm aber sehr schnell groteske Formen an, und bald habe ich einen Kollegen gefragt, ob wir das zusammen machen könnten. So ist es dann auch gekommen. Dieses Projekt, so nennt man das glaube ich heute, hieß dann "Tresenlesen". Das haben wir von 1992 bis 2000 gemacht mit etlichen 100 Auftritten auf allen deutschsprachigen Bühnen im Ruhrgebiet und auch darüber hinaus, in Österreich, der Schweiz und auf einem Grenzkontrollpunkt in Belgien. 2000 hat sich das dann aufgelöst und von da an bin ich solistisch tätig geworden. Das erste Programm, was ich auch heute Abend hier spielen werde hieß "Wenn Worte reden könnten oder 14 Tage im Leben einer Stunde" (lacht). Das zweite heißt "Ich bin kein Tag für eine Nacht - ein Abend in Holz" (der Interviewer kann mittlerweile das Lachen nur sehr schwer unterdrücken, Anm.). Alles hochphilosophisch. Nebenbei mache ich noch viel fürs Radio, habe auch mal beim WDR eine Serie gehabt am Sonntag morgen. Das hat nur nie einer gehört, weil sonntags morgen keiner wach ist. Die, die dann zur Kirche gingen, die haben das gehört. War so eine Familienserie - sehr lustig (lacht) und des weiteren lese ich auch Hörbücher ein wie z.B. "Die Brautprinzessin".

Wann haben Sie ihr komisches Talent entdeckt?

Kann ich schwer sagen. Angefangen habe ich, als ich im Buchhandel tätig war, weil mir dort viele schöne Bücher unter die Finger gekommen sind. "Tresenlesen" war auch ein Art literarische Dienstleistung. Wir haben uns dort Texten gewidmet, die sprachlich relevant und komisch sein sollten, wobei komisch nichts mit lustig gemein hat. Lustig ist, wenn man sich zum Lachen eine Uniform anzieht. Da haben wir die Weltliteratur durchkämmt. Jeder Abend hatte dann ein anderes Motto, einen anderen Rahmen, eine andere inhaltliche Klammer. Irgendwann war das aber abgegrast. Da habe ich mir dann gedacht: "Da musste schon selber was machen". Ja, gesagt getan. Das schöne bei Sachen, die man sich selbst schreibt ist, dass man sie sich auf den Leib schreibt. Das hat viel Freude gemacht und irgendwann ist da ein Soloprogramm heraus entstanden.

Als Buchhändler dringt man natürlich sehr tief in dieses Medium Buch ein. Was sind so Lieblingsbücher?

Z.B. die Brautprinzessin, aber auch sehr viele abgelegene Dinge, die nicht so dem Mainstream angehören. Flann O'Brian ist so mein Lieblingsautor.

Sagt mir so leider nichts.

Der ist oder besser war Ire. Das Ganze ist sehr skurril und ich halte es für hochkomisch. Ein bisschen so wie James Joyce. So wie Joyce die literarische Moderne begründet hat, hat er die literarische Moderne in die Komik geführt. Er hat irrsinnige Bücher geschrieben und war auch so ein großartiger Mann. Er war Finanzbeamter eigentlich und ständig betrunken. Der ist morgens um 10 Uhr in das Amt gegangen und hat viertel nach 10 bereits das Amt wieder verlassen um in die Kneipe zu gehen. Er hat sich auch die Akten da runter bringen lassen, die Akten in der Kneipe bearbeitet und hat dann um 14 Uhr, Dienstschluss eben, die eine Kneipe wieder verlassen um in der nächsten den Feierabend zu feiern. Der war um 16 Uhr bereits so sternhagelvoll, dass er die Kneipe, so wie er selbst schrieb, in einer "3 Uhr Schräglage" wieder verließ. Er hat sich eben planvoll zu Tode gesoffen, was ich ganz reizvoll finde, weil wenn man das wirklich planvoll unternimmt, zeugt das schon von einer inneren Größe. Er hat in der Zeit halt sechs Romane geschrieben, die mich sehr beeindruckt haben.

Das war jetzt die lyrische Seite. Wer diente auf der komischen Seite als Vorbild?

Zunächst einmal bin ich jeglichem dummen Zeug sehr, sehr aufgeschlossen. Was die sprachliche Qualität angeht, hat mich Hans-Dieter Hüsch (Kabarett-Legende, Anm.) sehr beeindruckt. Ein großartiger Mann, den ich schon seit Kindesbeinen an sehr verehrt habe. Ich glaube, ich habe letztendlich den Beruf auch ergriffen um mal mit ihm zusammen arbeiten zu dürfen. Das ist auch so gekommen, bevor er so krank wurde. Ansonsten habe ich keine nennenswerten Vorbilder, sondern ich nehme mir das von jedem, was mir gefällt.

Ich will noch mal auf das Studium der Germanistik und Geschichte kommen. Wie kommt man darauf so etwas zu studieren?

Weil man es mag. Nach dem Grundstudium, was furchtbar war, habe ich festgestellt, dass die Sachgebiete, die mich interessierten auf meiner Uni nicht angeboten wurden, dazu hätte ich die Uni wechseln müssen. Da ich aber zu dieser Zeit emotional gebunden war, war ich mit einem Ortswechsel nicht einverstanden. Daraus resultierte dann auch der Abbruch des Studiums. Da wurde man zu hochphilosophischen literarischen Ansätzen und zum Lesen verleitet - was ganz furchtbar war. Heute zwickt es mich schon ein bisschen - aber Schnee von gestern. Ich bin ja schon fast tot.

Mir kommen die Tränen.

Nicht nur dir.

Irgendwann wurde das nebenbei betriebene Hobby dann ja zum Beruf oder zur Berufung. Wann kam dieser Zeitpunkt?

Am 1.1.1994. Zum 31.12.1993 habe ich in der Buchhandlung gekündigt und von da an bin ich mit dem ehemaligen Mitarbeiter in der Buchhandlung als Duo unterwegs gewesen. Das war eine nachhaltige Entscheidung. An monatliche Überweisungen kann man sich nämlich gewöhnen, das war dann nicht mehr der Fall. Das erste Jahr war auch ziemlich mau. Dann ging es aber sehr schnell aufwärts.

Kommen wir kurz zu den Programmen von Ihnen. "Tresenlesen" war das erste...

"Tresenlesen" war eigentlich mehr eine Veranstaltung, die dann halt so ca. 40 Programme für unterschiedliche Abende beinhaltete. Danach kam dann "Wenn Worte reden könnten". Des weiteren gibt es noch so ein Best-Of von mir, das heißt "Sack. Eine Revue" (langsam ist es aus beim Interviewer, Anm.). Ich habe keine Ahnung warum. Man muss es auch oft, glaube ich, gar nicht wissen. Dann gibt es noch einen Weihnachts-Abend "Oh Tannenbaum". Das sind so die großen Soli.

Sprechen wir über "Wenn Worte reden könnten". Was kann man sich da drunter vorstellen?

(lacht) Wenn ich das wüsste. Meine Lust ist es zu sprechen und ich mache mit der Sprache all das, was man mit ihr machen kann und ein bisschen mehr noch. Skurrilität ist mir ganz wichtig. Das Abwegige gefällt mir sehr. Es ist sicher kein karnevalistischer Kracher-Abend. Es könnte Lust machen, sich selber beim reden zuzuhören. Das einfache Situationen eine irrsinnige Komik entfalten können, wenn man nur die Antenne dafür hat, kann den Tag ganz genußspendend machen. Genau darum geht es eigentlich (mehr zum dem Programm, findet ihr als Besprechung bei den "Empfehlungen", Anm.).

Ich habe das letzte Buch "Halt mal, Schatz" von Ihnen gelesen, welches sehr detailliert Ihre Erfahrungen als werdender Vater wiedergibt. Wie es dazu kam ist logisch.

Poppen. Irgendwann kommt dann ein Kind bei raus.

Genau. War es ein Wunschkind?

Ja, ja natürlich. Das war zielgerichtetes Poppen. Wir haben uns auch zwei mal richtig konzentriert. Darum sind es auch zwei Jungs geworden. Das war schon gewollt und herbeigesehnt. Die Freude hält bis heute an.

Soll das Buch so eine Art Vorwarnung an werdende Väter sein, was sie erwartet?

Die Botschaft des Buches an alle Väter soll sein, dass sie nicht alleine sind. Wenn man zu zweit ins Bett geht und zu dritt aufwacht, ist dies ein so fulminanter Unterschied. Alles was bis dato möglich war, ist ab einer Sekunde nicht mehr möglich. Es findet eine erdrutschartige Verschiebung aller möglichen Verhältnisse statt, so dass das für viele Leute eben beängstigend ist. Mein Leben ist sicher ärmer geworden, aber auf der anderen Seite auch so dermaßen bereichert worden, dass ich bis heute mit dem Abarbeiten noch nicht ganz fertig bin (lacht). Wenn ich solche intensiven Erfahrungen gemacht habe, dann muss ich die auf andere Art und Weise wieder loswerden und als man mich dann anrief und ein solches Buch von mir haben wollte, habe ich dann eingewilligt. Ich hatte noch ein paar Dinge aus "Tresenlesen"-Zeiten liegen und habe also gesagt: "Klar, mache ich, unter Bedingung, dass das Buch abwaschbar sein muss." Dem Wunsch wurde dann stattgegeben.

Eine Stelle in dem Buch ist mir besonders prägnant in Erinnerung. Da waren Sie mit Ihrer Frau beim "Wehensingen". Was denkt man in so einem Moment, wenn man so etwas erlebt?

Man denkt in der Vorbereitung: "Die sind alle mental erloschen". Wenn's dann aber tatsächlich soweit ist (die Entbindung, Anm.), dann nimmt man alles was hilft und wenn es hilft ein Kräuterfeuerchen zu entzünden, dann würde ich das auch tun. Dieses Wehensingen hilft auch tatsächlich. Wir haben's auch beim zweiten Kind wieder gemacht.

Ihre Frau hat sich zur Hausgeburt und Hebamme entschieden. Wie kam es zu der Entscheidung?

Wenn jemand schwanger ist, ist er schwanger und nicht krank und ein Krankenhaus, steckt ja schon im Begriff, ist ein Haus für die Kranken. Bei der Hausgeburt ist man eben in gewohnter Umgebung, mit Leuten die man kennt - anders als halt im Kreißsaal, wo man mit Beinen offen wie ein Scheunentor da liegt und dauernd kommen wildfremde Leute rein und schauen dir unten durch bis zum Zäpfchen und sagen: "Dauert noch ein bisschen". Das ist nicht so schön. Einer Freundin von mir ist das passiert, die lag in eben erwähnter Position im Kreißsaal im Engelshemdchen und auf einmal kam ein junges Pärchen hinein und wollte den Saal besichtigen. Wirklich nicht schön. Wir hatten das auch nicht eingesehen mit dem Krankenhaus, denn die Menschheit kriegt seit Menschengedenken an ihre Kinder zu Hause und seit ca. 50 Jahren erst im Krankenhaus. Das war auch schön als der Kleine dann da war, habe ich erst mal "Hells Bells" von AC/DC aufgelegt. Ich würde es nie anders machen wollen.

Kommen wir zur "Brautprinzessin". Wie kam die Zusammenarbeit mit Bela B. zustande?

Das lief über die Plattenfirma. Wir wollten auf jeden Fall "Die Brautprinzessin" machen. Zunächst gestaltete sich das als sehr schwierig, da die Rechte dafür in Amerika liegen. Also wurden zunächst irrsinnige Verhandlungen geführt. Als dass dann klar war, war zwar klar, dass ich eine schöne Stimme und auch einigermaßen ohne Versprecher lesen kann aber es musste noch ein Kracher her - sonst kauft das niemand. Das sind 9 CDs für 40 €. Das ist richtig Kies. Es musste also jemand her, der dazu passt und der über eine gewisse Prominenz verfügt. Er sollte zudem, was nicht hinderlich ist, lesen können. Damit wurde der Kreis bereits extrem übersichtlich, derer die dafür in Frage kommen. Da Bela eine sehr schöne Stimme hat, war er in der engeren Wahl und er hat sich auch dann dazu bereit erklärt. Ich habe ihn ja vorher nie gesehen gehabt. Er hat seinen Part in Hamburg gesprochen und ich meinen in Bochum. Erst als das Ganze dann auf dem Markt war, kam die Idee, dass wir das auch vorlesen könnten, denn es geht ja soviel ab in dem Buch. Da brennt wirklich die Luft. Ich konnte mir zunächst nicht vorstellen, dass Bela dafür Zeit hätte, doch hat er gehabt und auch Lust und dann haben wir in Hamburg das erste Mal gelesen. Ich hatte vor dem Auftritt die Textauswahl gemacht, so dass wir beide präsent sind und den Auftritt habe ich sehr genossen, weil er ein äußerst angenehmer Kollege ist. Es folgten dann noch die Auftritte in Hannover und Witten. Jetzt machen wir das so, wenn er mal Zeit hat und es bei mir auch passt, dann wird es weitere Lesungen geben. Anfang nächsten Jahres soll es wohl in Berlin und irgendwo im Osten stattfinden.

Genaue Termine stehen aber noch nicht fest?

Nee, da musst du ab und zu mal bei Roof Music vorbeischauen, dort steht dies immer zuerst - die machen die Termine fest.

Das Publikum welches Sie dann bei den Lesungen antreffen unterscheidet sich ja doch sehr von dem ihrer normalen Hörerschaft?

Ja, ja, die zelten ja schon ab 4 Uhr vorm Eingang. Herr B. ist eben schon das Flaggschiff dieser Veranstaltung, weil er so ist, wie er ist. Er hat auch einen schönen Text (lacht). Es ist ihm z.B. auch erst in Hamburg aufgefallen, diese Textstelle "Morgenstern hasste die Ärzte". Das ist ihm erst auf der Bühne klar geworden. Ein zauberhafter Kerl, wirklich.

Bei der Lesung in Witten, wo ich Sie erleben durfte, haben Sie ihm eigentlich die Show gestohlen.

Nun ja, ist ja auch mein Beruf (lacht). Da sind auch so schöne Fehler passiert, die abgefangen werden müssen. Es macht von mal zu mal einfach immer mehr Spaß und mittlerweile kann er dabei auch schon mehr improvisieren. Wir haben uns jetzt auch schon aufeinander eingespielt, kennen den Text immer besser - von daher bleibt da für die nächsten Auftritte noch einiges zu erwarten. Wir harmonieren eben sehr gut miteinander, auch hinter der Bühne. Ich mache mit vielen Leuten was zusammen. Es gibt aber wenige, wo ich mich so wohl fühle, wie mit ihm. Ich leide auf der Bühne jetzt auch nicht unter seinem Promibonus. Es ist eben auch sein Publikum, was dort unten sitzt. Doch wenn es schon mal gelingt die Leute dort hinein zu bringen, zu so einem Anlass, dann ist das schon mal eine gute Sache. Wenn die dann Spaß dabei haben, so wie ich es in den Rückmeldungen mitkriege, dann ist das traumhaft. Ich bin da auch von kleinen, sehr bemalten Mädchen mit viel Metall im Gesicht gelobt worden. Die würde ich ja sonst nie erreichen.

Neben dem Lesen beherrscht Bela auch das Singen sehr gut, vorzugsweise bei den die ärzte. Wie stehen Sie zu der Band?

Ich weiß, dass es sie gibt und mein ältester Sohn (jetzt 6 Jahre), der liebt sie von den Songs, die er kennt. Bela hat mich da freundlicher Weise mit ein wenig Material ausgerüstet. Meine musikalische Orientierung ist eine andere. Ich habe selber 15 Jahre in einer Rock und Blues Band gespielt und bin auch dieser Musik sehr verhaftet. Was die ärzte betrifft, kenn ich mich jedoch viel zu wenig aus, als dass ich da etwas sagen könnte. Dass sie so ein bisschen an Tabus sägen, das mag ich sehr. Außerdem sind sie sehr authentisch und nachhaltig. Da gibt's auch ganz wenige von.

Um noch mal auf die Musik zu sprechen zu kommen. Wer sind da so die Favoriten?

Da gibt es sehr viele. Wir haben damals in der Band neben Rock auch Rhythm&Blues gespielt. Von ZZ Top bis Muddy Waters wirklich alles gemacht. Eine meiner eindringlichsten Konzerterfahrungen ist tatsächlich ZZ Top im Müngersdorfer Stadion in Köln. Das war eine Erfahrung, die war auf dem Weg zur Gesundheitsschädigung. Die Lautstärke war enorm und ich war noch auf der Tribüne, denn im Innenraum waren ja die ganzen Schränke mit ihren Motorrädern (lacht). Das war großartig. Die Musik, die ich gern höre, läuft auch immer zum Einlass zu den Shows, die bringe ich immer selber mit. Lass dich also überraschen.

Sie haben auch noch ein anderes Hörbuch gelesen. "Die Entdeckung der Farbe" heißt es. Worum geht es da?

Richtig. Das ist ein Projekt von einem jungen Bochumer Filmemacher, der sich auf die Hörbuch-Seite wagen wollte und der hat sich die "Tunisreise" von August Macke vorgenommen. August Macke hat über die Tunisreise ein Buch geschrieben. Er und drei andere junge Künstler sind in den zwanziger Jahren, weil sie das Licht dort so großartig fanden, nach Tunesien gefahren. Die steckten in einem großen künstlerischen Aufbruch und entdeckten und definierten die reine Farbe an sich ganz neu. Bis dato verstand man unter Landschaftsmalerei immer die braunen Schinken - alles ganz furchtbar. Die sind halt nach Tunesien gefahren, weil dort durch den anderen Stand der Sonne die Farben ganz anders wirken. Die waren 14 Tage dort und haben betrunken, wie im Rausch, über 100 Gemälde verfasst und Macke hat darüber ein Buch geschrieben. Aus diesem Stoff hat der Leif Karpe, so heißt der Regisseur, ein Hörbuch geschrieben, d.h. er hat zunächst das Drehbuch geschrieben und Rest haben wir uns dann zusammen in seiner Garage erarbeitet. Der Unterschied war, das wir dies inszenieren konnten. Bei der "Brautprinzessin" konnten wir das leider nicht, da konnten wir nur lesen. Die "Tunisreise" ist halt ein richtiges Hörspiel mit schauspielerischen Leistungen. Z.B. haben wir da in der Garage eine Bahnhofsatmosphäre nachgestellt, was sehr lustig war (macht dabei Bahnhhofsansagengeräusche). Es ist sehr schön geworden. Die vier Männer, die das damals gemacht haben, die waren gerade Anfang 20 und sind mit einem Koffer Farben und drei Mark zwanzig Taschengeld einfach so nach Tunesien gefahren vor ca. 60 Jahren. Das war schon ein anderes Reisen als heute mit dem ICE. Die kannten dort niemanden und konnten auch nur ein paar Brocken Französisch und sind da nur hingekommen um zu malen - also eigentlich völlig wahnsinnig. Die haben auch von Land und Leuten kaum was mitgekriegt, sondern haben gemalt wie die Bekloppten und gesoffen und es sind wunderbare Bilder dabei herausgekommen. Viele von denen haben in ihrer späteren Tätigkeit nie wieder an diese 14 Tage anknüpfen können. Man kann das, glaube ich, als Taschenbuch beim DuMont Verlag erwerben oder natürlich auch als besagtes Hörbuch.

Ganz wichtig, wie Sie schon sagten, ist Ihnen die Sprache. Was bedeutet sie für Sie?

Sprache kann zunächst die Wirklichkeit abbilden und erfahrbar machen. Das Wunderbare an der Sprache ist, dass sie fast allen zur Verfügung steht. Dummerweise wissen aber die wenigsten, was sie da tun. Ich komme aus dem Ruhrgebiet, also einer sprachlich durchaus interessanten Region. Da unterliegt die Sprache einer gewissen Art von Erosion, so möchte ich das mal nennen, die das Wort bisweilen zum puren Geräusch verschleift. Es ist besonders interessant dem nachzuspüren. Das Schöne an dem Instrument Sprache ist eben ihr Varietätenreichtum, ihre unglaubliche Vielfalt. Je mehr man sich das zugänglich macht um so lieber spricht man und umso besser hört man auch zu. Man merkt dann auch gleich mit was für einem Gegenüber man es zu tun hat - auch als Bewertungskriterium. Ich liebe das sehr und ich bemühe mich auch sehr, dass meine Kinder dies zu schätzen lernen. Ich wünsche mir auch von allen mehr Aufmerksamkeit diesbezüglich. Man kann auch viel freundlicher und höflicher sein, wenn man ein entsprechendes Inventar an Begriffen hat. Das macht viel Freude.

Oh, ja. In meinem Freundeskreis ist es auch ein Running Gag statt dem Fluch "Scheiße" oder sonstigen Flüchen solche Sätze wie "So ein Ärger." oder "Das hätte ich mir persönlich anders vorgestellt" auszustoßen.

Ja, das ist schön (lacht). Im Stadium der finalen Erregung dann zu sagen: "Das hätte ich mir jetzt aber persönlich anders vorgestellt.". Tolle Sache. Solche Experimente sind zauberhaft. Wir hatten das Hobby Imperative, also Befehlsformen, zu sammeln aus normalen Wörtern oder Personennamen. So ist z.B. "Sitzgruppe" ein Imperativ, ne. "Sitz Gruppe!" oder "Platz Anweiserin" oder eben Namen wie "Iggy Pop", "Sean Penn". Das hat so ein Spaß gemacht und wir haben wirklich alle gefunden. Wir hatten dann auch Umschreibungen gesammelt, z.B.: "Wie würdest du pflanzlichen Bewuchs an einem Einwegfeuerzeug beschreiben?"

Äh, Mocambique.

Sehr gut. Mocambique. Oder die Aufforderung an einen italienischen Fluss ein Russischer zu werden: "Poseidon" (alle lachen). Man kann auf diese Weise ohne Würfel in einer Kneipe sehr viel Spaß haben. Das schöne an so einem Spiel ist, dass zunächst 5 Minuten Totenstille herrscht, alles denkt, bis einer sagt: "Ich hab wieder einen" und dann folgt die Detonation.

Wenn die Leser dieser Zeilen Sie einmal im Fernsehen erleben möchten, wann und wo müssten sie einschalten?

Ich glaube im Fernsehen werde ich zur Zeit erst mal nicht so viel zu sehen sein. Es gibt da z.Zt ein Projekt, welches aber noch nicht spruchreif ist und noch keinen Abnehmer gefunden hat. Ich lege es aber auch nicht so aufs Fernsehen an. Ich sehe mich eher als Radiomann und mache auch dort viel. Das Fernsehen hat keine Zeit und wenn ich etwas brauche, dann ist es Zeit. In 1:30 kann man eben keine Geschichte mit Anfang, Höhepunkt und Schluss erzählen. Auf WDR 5 und WDR 2 laufen im Radio aber ständig Beiträge von mir.

Zu guter letzt will ich noch auf zwei Personen zu sprechen kommen, die sicher zu den ganz Großen der deutschen Kabarett- und Humoristen-Szene zählen. Beginnen möchte ich mit Dieter Hildebrandt, der vor kurzem die letzte "Scheibenwischer"-Sendung in der ARD moderierte. Wie ist Ihre Meinung zu Dieter Hildebrandt?

Er ist ein Urgestein des deutschen Humors. Er vertritt das politische Kabarett, zu dem ich zwar als Konsument aber nicht als Ausführender ein Verhältnis habe. Ich halte ihn für ziemlich gescheit. Wobei ich seine letzten Sachen nicht so berauschend fand. Dieses Buch über die Werbung hätte er auch sein lassen können. Ich empfehle übrigens das Hörspiel, was er auch selbst geschrieben hat, "Dr. Murkes gesammeltes Schweigen". Das ist das Allergrößte, wobei der Text glaube ich von Böll ist. Wenn man Radio verstehen will, dann muss man das gehört haben - zum Schreien. Das hört man sich am besten liegend an, weil man sonst umfällt vor Lachen. Das ist schon aus den 60ern Jahren.

Der andere Herr ist Loriot, der vor kurzem 80. Geburtstag feierte...

Vor kurzem hat auch Jürgen von Manger 80. Geburtstag gehabt.

Nur hat er ihn leider nicht erlebt.

Ganz wichtig. Jürgen von Manger war auch ein komischer Mann - auch ohne, dass er komisch sprach. Dialektkomik an sich finde ich nämlich zum Kotzen. Jürgen von Manger war sehr komisch mit Einblick und Ausblick. Loriot ist ja schon fast Folklore im Prinzip. Was ich an ihm besonders schätze ist seine unglaubliche Beobachtungsgabe und sein Perfektionismus. Das macht ihm so schnell keiner nach.

Gibt's da so einen Lieblingssketch?

Da gibt's viele. Oft sind es so kleine Sachen - auch in seinen Filmen. Ich habe z.B. Wochen gebraucht um mich von diesem unechten Hund in "Pappa Ante Portas" erholen zu müssen. Dieser deutlich ausgestopfte Köter mit dem mechanischen Schwanz - ich konnte es nicht aushalten.

Schön war ja dann auch dieser Satz von ihm, wo der Hund quer im Kücheneingang lag: "Der Hund liegt hier wirklich sehr ungünstig".

Ja (lacht). Da ist ungefähr die gleiche Kerbe wie eben. Jeder andere hätte gesagt: "Schaff den Scheiß-Köter hier weg.", aber nein: "Der Hund liegt hier wirklich sehr ungünstig". Großartig. So gesehen kann Loriot durchaus mit als Initialzündung für mich gelten.

Damit bin ich eigentlich am Ende angelangt. Es hat mich sehr gefreut.

Mich auch. Dankeschön.

Kaufbefehle:

Flann O'Brien "Der dritte Polizist" (Buch, Suhrkamp)
August Macke "Die Tunisreise" (Buch, DuMont Verlag)
Heinrich Böll "Dr. Murkes gesammeltes Schweigen" (mit Dieter Hildebrandt, erschienen als MC/DVD)
Loriot "Sein großes Sketch-Archiv" (4xVHS/4xDVD) und eigentlich alles

© Stefan Üblacker